Das Präventionsparadox: Die Welt als Wille ohne Vorstellung

Das Präventionsparadox: Wenn  kein Kind in den Brunnen fällt, dann wird die Wirkung der Prävention nicht offensichtlich – weil man nicht weiß, ob überhaupt ein Kind in den Brunnen gefallen wäre. Oder ob eine weniger aufwändige Sicherung des Brunnens nicht auch gereicht hätte, um kein Kind in den Brunnen fallen zu lassen. Und ist da überhaupt ein Brunnen? Es ist schwierig. 

Ist hier Pandemie, oder was?

Wer in der 2020-Pandemie etwas grundsätzlich Positives sieht oder sie leugnet hat grundsätzlich mal nicht alle Latten am Zaun. Soviel vorweg. Dass es vielleicht die eine oder andere Nuance gibt – mehr aber auch nicht! -, die positiv erscheint, das sei unbestritten. „Entschleunigung“ ist ein gerne genommenes Merkmal der Krise. Und das stimmt tatsächlich. Wo plötzlich aber auch wirklich alles still steht, da ist dann schnell mal entschleunigt. Und das ist sicher individuell gefühlt gut. Aber um welchen Preis? Und damit sind wir wieder bei den Latten.

Da gibt es also nach einigen Wochen des Lockdowns, der Ausgangssperren und sicherlich schmerzlichen Einschränkungen sogenannte „Hygienedemonstrationen“, weil die Teilnehmenden nun einfach die Nase voll haben von diesen Einschränkungen. Und es sei ja auch alles gar nicht so schlimm wie angekündigt. Oder überhaupt welche Pandemie? Warum deswegen Einschränkungen? Wir wollen wieder nach Ibiza! Dieser Wille bricht bei einigen, aber insgesamt zu vielen Menschen plötzlich durch und bewegt sie auf die Straßen. Ohne Abstand, ohne Schutzmasken und vor allem ohne aktiviertes Gehirn. Warum das so ist? Erklärt wird dies sehr gerne mit dem Präventionsparadox – eine Art Entschuldigung, auch wenn es natürlich nicht so gemeint ist.

 

Das Präventionsparadox: Was es ist

Prävention ist etwas Positives. Wie wir aus vielen Beispielen wissen, ist das metaphorisch in den Brunnen gefallene Kind immer eine größere Katastrophe, als den Brunnen vorher so abzusichern, dass das Kind eben nicht hineinfallen kann. Wenn dann aber eben kein Kind in den Brunnen fällt, dann wird die Wirkung der Prävention nicht offensichtlich – weil man nicht weiß, ob überhaupt ein Kind in den Brunnen gefallen wäre. Oder ob eine weniger aufwändige Sicherung des Brunnens nicht auch gereicht hätte, um kein Kind in den Brunnen fallen zu lassen. Und, und auch das wurde in der Pandemie 2020 offen formuliert, ob das Kind nicht sowieso gestorben wäre: Zum Beispiel an einer Fliegenpilzvergiftung. Und ist da überhaupt ein Brunnen und ist da auch ein Kind? Alles ziemlich wirr derzeit.

Eine Prävention, die keine sichtbaren Ergebnisse erzielt, und das ist oft so bei Präventionsmaßnahmen, kann schnell in Frage gestellt werden. Kein Kind im Brunnen: Also wozu das alles?

Eine Präventionsmaßnahme hat dann ein sichtbares Ergebnis, wenn Frühwarnsysteme offensichtlich Schlimmeres verhindern. Nehmen wir die Darm- oder Brustkrebsprävention: Wird die Krankheit durch Prävention frühzeitig erkannt, dann ist die Wahrscheinlichkeit höher zu überleben. Das ist aber so eine Art Prävention auf halber Strecke. Es war ja schon etwas in Gang gesetzt.

Das ist übrigens in Unternehmen – mit oder ohne Brunnen – nicht anders: Zum Beispiel wird Arbeitsschutz als lästig bis oberlästig bewertet. Solange keine Arbeitsunfälle passieren. Fällt aber jemand in den Brunnen oder wird ein Arm abgetrennt, ein Bein zertrümmert oder ein Schädel gespalten, dann wird offensichtlich, was verhindert hätte werden können. Zu spät. Soll das große Thema Umweltschutz noch angesprochen werden? Wir alle wissen es. Erfolgreiche Prävention befindet sich zumeist auf dem heißen Stuhl des Prüfstands.

 

Das Präventionsparadox: Was falsch läuft

Die zum Teil sehr einschneidenden Maßnahmen in Deutschland und Österreich zur Eindämmung der Pandemie waren und sind eine Belastung für praktisch jeden einzelnen Lebensbereich und jede Wirtschaftsbranche. Dass darüber niemand glücklich sein kann, das steht außer Frage. Dass aber nun in Frage gestellt wird, ob das alles notwendig gewesen wäre oder ist und die Antwort darauf auch noch „nein“ lautet, ist absurd und meiner Meinung auch nicht mit dem Präventionsparadox erklärbar.

Warum? Weil wir in durchaus uns vergleichbaren Ländern wie Italien, Spanien, Großbritannien und USA sehen und erleben konnten und können, wie das Ausbleiben oder nicht frühzeitige Ansetzen von Präventionsmaßnahmen gewirkt hat. Nennen wir es einfach verheerend. Zigtausende Tote, die in Militärlastwagen abtransportiert werden mussten, gingen in den verschiedenen Medien um die Welt. Das Offensichtliche wurde uns Tag für Tag präsentiert. Mit anderen Worten: Das Paradoxe der Prävention hat sich in den für alle sichtbaren Nachrichten aus aller Welt offensichtlich aufgelöst. Aber wohl nicht für alle.

Und so kommen Hygienedemonstrationen zustande: mit dem Willen, keine Einschränkungen mehr haben zu wollen, aber ohne die Vorstellung, wie unsere Welt ohne genau diese jetzt ausschauen würde. Es ist schwierig mit dem lattenlosen Zaun.

 

Und jetzt alle einschalten: Hausverstand!

Was wir jetzt brauchen: Eine Vorstellung davon, wie unsere Welt nach dieser Pandemie aussehen kann. Und wir werden den Willen brauchen, dies gemeinsam anzugehen. Zu glauben, dass es in einigen Monaten wieder so sein wird, wie es vor einigen Monaten war, ist Unsinn. Dazu waren die notwendigen Maßnahmen zu einschneidend: zum einen für die Märkte mit all ihren Beteiligten und zum anderen für das Selbstbewusstsein und Selbstverständnis von uns allen. Heinrich Heine dichtete in „Deutschland. Ein Wintermärchen“ so treffend: „Wir wollen hier auf Erden schon das Himmelreich errichten.“ Wir waren auf dem besten Weg … und wurden nun jäh gestoppt. Was man allgemein für unmöglich gehalten hat.

Wir werden unseren Haus- und Menschenverstand einschalten müssen, um der Pandemie weiterhin entgegentreten zu können. Und wir werden uns neu positionieren, wahrscheinlich neu definieren müssen. Das ist sicher auch sinnvoll. Denn eine Neudefinition bedeutet vielleicht auch, dass bisherige wesentliche Einflussfaktoren auf unser Leben einer neuen Bewertung unterzogen werden könnten. „Könnten“ – mehr leider nicht. Soll das große Thema Umweltschutz noch angesprochen werden? Wir alle wissen es.

Unsere Staatsregierungen mit ihren Führungen wie Angela Merkel, Sebastian Kurz oder Emmanuel Macron werden so viel tun wie möglich. Aber die Dimension ist viel zu groß, als dass man die bisherigen Verhältnisse über Steuern und darauf gründenden Fonds aufrechterhalten könnte. Es muss uns bewusst sein, dass es uns nicht weiterhilft, wenn wir auf „den Staat“ und auf „die Führung“ zeigen und uns auf diese verlassen. Wir brauchen jetzt die vielzitierte, viel propagierte und viel postulierte Agilität: in Unternehmen und vor allem in der Gesellschaft.

Das heißt: Weitere Prävention. Schnelle Reaktion. Vorausschauende Aktion.

Und vor allem eine wesentliche Voraussetzung für agiles Denken und Handeln: alle Latten am Zaun.

 

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Dr. phil. Markus Reimer ist Keynote-Speaker und Lead Auditor für Managementsysteme.